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Leonard Bernstein: Das ungenierte Genie

Keiner gab sich so rückhaltlos dem Publikum hin: Lachte, zitterte, ging dirigierend in die Knie und betätigte sich dabei als Rattenfänger der Klassik – im besten Sinne. Als erster, genuin amerikanischer Dirigent begründete Leonard Bernstein ein neues Selbstbewusstsein. Und einen saftigeren, extremistischeren, sanguinischeren Stil. Er war der einzige Dirigent seiner Zeit, der bei der Arbeit nicht mürrisch wirkte.

Der einseitige Universalist: Was konnte Bernstein eigentlich nicht?

War Bernstein ein idiomatischer Bruckner-Dirigent? Konnte er Haydn und Mozart? Geriet ihm Debussy nicht zu knallig und Cherubini (mit Maria Callas) zu verismohaft? Machen wir die Nagelprobe! Lässt sich Bernstein in flagranti, also auf frischer Tat, bei einer Untiefe ertappen? Zum Schluss werden wir... versöhnlich.

Bernstein und die Folgen: Schüler, Nachrücker, Abgucker

Selbst ein Dirigent wie Eliahu Inbal, ehemaliger Chef des Konzerthausorchesters, zählt Bernstein zu seinen größten Vorbildern. Amerikanische Nachfolger wie Michael Tilson Thomas oder Marin Alsop, ebenso Image-Erben wie André Previn zeigen, wie sehr Bernstein das Feld verändert hat. Auch grundsätzlich: in der viel ausgreifenderen Dirigier-Gestik, die seitdem Standard ist.

The final concert. Der späte Bernstein.

Inzwischen Monument seiner selbst, ein Großmeister und Symbolträger weltweit, blieb Bernstein bis fast unmittelbar vor seinem Tod am 14. Oktober 1990 musikalisch aktiv - ähnlich wie Karajan, der im Jahr zuvor gestorben war. Dieser doppelte Verlust läutete einen Paradigmenwechsel ein. Daraus ging Bernstein (im Unterschied zu Karajan) ungeschoren hervor. War er zeitloser? Oder gar besser?

Die Liebe zu den sechs Orchestern – Bernstein in europäischen Metropolen

Viele Dirigenten entwickeln eine spezifische Klangästhetik, die sie zu anderen Orchestern mitnehmen. Und Bernstein? Seine Aufnahmen mit dem Concertgebouw-Orchester, den Wiener Philharmonikern oder dem BR-Symphonieorchester verraten eher eine musikalische als eine klangliche Handschrift. Das muss auch so sein: denn Bernstein war die längste Zeit seines Lebens hauptberuflicher Gastdirigent. Er kam immer nur - und ging.

The sexiest conductor alive: Bernstein als optisches Phänomen

War es sein Hüftschwung? Oder seine gegelte Haar-Tolle? Kein Zweifel, dass Bernstein der erste attraktive Dirigent war, der nicht nur Autorität und Charisma, sondern einen gewissen Sex-Appeal mit auf die Bühne brachte. Sein Dirigierstil, passend dazu, war rund und sportlich energetisch. Bei ihm sah der Frack schon damals "cool" aus. Alles nur Äußerlichkeiten? Mitnichten.

Ode an die Freiheit: Bernstein und Berlin

Zu den Berliner Philharmonikern lud man Bernstein nur genau einmal ein. Stattdessen war er ein nicht häufiger, aber gelegentlicher Gast bei den Berliner Festwochen. Zum Mauerfall gab er sein historisches Beethoven-Konzert im damaligen Schauspielhaus. Bernstein und Berlin - eine verpasste Liebesgeschichte!?

"Ich war noch niemals in Bayreuth ...": Bernstein als Wagner-Dirigent

Auf der Liste großer Dirigenten, die niemals den Bayreuther Graben von innen gesehen haben, ist Bernstein nicht der einzige. Bei der in München entstandenen "Tristan"-Aufnahme saß der Kollege Karl Böhm im Parkett und bekannte, erst Bernstein habe sich bei diesem Werk das Richtige getraut. Warum blieb es bei diesem einen "Tristan"!?

Die Geldschein-Sonate. Bernstein, der Großverdiener.

Allein von den Einnahmen und Tantiemen der "West Side Story" hätte sich Bernstein ein Leben lang zur Ruhe setzen können. Die Rechtevergabe bei amerikanischen Werken ist bis heute rigide und streng befristet. Das versetzte den Komponisten in die beneidenswerte Lage, von kommerziellen Dirigier-Aufträgen Abstand nehmen zu können. Auch als er zur Deutschen Grammophon wechselte, spielte er - anders als Karajan - bereits aufgenommene Werke nicht noch einmal ein.

Mein "kleiner Dämon": Bernstein als erster queerer Dirigent?

Mit seiner Bisexualität ging Leonard Bernstein - zumindest ab einem bestimmten Alter - offen um. Zu seiner Zeit war das alles andere als selbstverständlich; noch sein Vorgänger beim New York Philharmonic Orchestra, Dimitri Mitropoulos, war 1957 wegen seiner Homosexualität entlassen worden. So wurde Bernstein die erste Schwulen-Ikone der Klassik-Welt. Hört man das?

Der Medien-Pionier. Bernsteins epochale Video-Lessons.

So blendend, wie der Mann aussah, war es nur eine Frage der Zeit, bis das Fernsehen ihn entdeckte. Bernstein nutzte das Angebot, indem er TV-weit das erfand, was man heute "Education" nennt. Man denkt, wenn man dieses Wort hört, an Simon Rattle. Aber Rattle denkt an Bernstein. Hommage an einen, der auf die Jugend setzte.

Der swingende Patriot. Bernstein, der erste Dirigent der USA.

Überraschend vielgestaltig sind die amerikanischen Werke, für die Bernstein sich stark machte. Ob Märsche von Sousa, symphonische Werke von Barber, Blitzstein, Carter, Copland, Feldman, Harris, Ives, Piston, Rorem, Schapero und Ferde Grofé: Bernsteins amerikanische Vorlieben erschließen einen klingenden, oft swingenden Kosmos zugkräftiger Gegenwartsmusik. Zugkräftiger, als man denkt.

Der Fall Beethoven: Bernstein vs. Karajan

Als großer Gegenspieler Karajans erfüllte sich Bernstein lebenslang genau jenen Traum, der Karajan verwehrt blieb: eine Karriere in Europa und in den USA. Beide Dirigenten galten als Antipoden. Sie gehören aber - ästhetisch gesehen - unzweifelhaft derselben, glamourverliebten Epoche an. Was zu beweisen ist!

Bernstein, die Diva

Als scharfzüngiges Lästermaul wird Bernstein von Zeitzeugen beschrieben. Schon als Musikkritiker in jungen Jahren bezeichnete er Prokofjews 1. Klavierkonzert als "wahrlich kein gutes Stück", in dem "die einzige wirkliche Melodie zu Tode geritten" werde. Gundula Janowitz, die spätere Sängerin seines "Fidelio", nannte Bernstein ihr "Golgatha". Konnte selbst noch im Darling schlechthin - ein Fiesling stecken?

Bernstein als Opern-Dirigent

Erstaunlich genug, aber Bernstein zeigte bei echten Opern-Komponisten eher Zurückhaltung. Seine "Falstaff"-Einspielung blieb die einzige einer Oper von Verdi. "Carmen" besetzte er mit der (auch stimmlich) übergewichtigen Marilyn Horne. Sein "Rosenkavalier" enttäuschte (trotz Christa Ludwig als Marschallin). Vielleicht lag’s am Studio? Oder haben wir Bernstein hier - ausgerechnet hier! - bei einer Schwäche erwischt?

Ein Mann der Praxis. Bernstein als Kammermusiker und Solist.

Nach jedem Konzert mit Bernstein kam unweigerlich der Moment, wo ein Klavier in den Backstage-Bereich gerollt wurde und Bernstein singend, schwärmend, heulend in die Tasten griff. Dies waren keine sentimentalen Ausrutscher. Bernsteins Aufnahmen der Kammermusik von Mozart, Schumann, Gershwin und natürlich eigener Kompositionen zeigen, wie sich das Genie im Detail-Reichtum äußert. Sogar als Sprecher lernen wir Bernstein neu kennen.

West Side Story reloaded. Bernstein als Musical-Großmeister.

Die "West Side Story" von 1957 war nicht der erste Musical-Erfolg Bernsteins, sondern sein letzter. Vorangegangen waren "On the Town", "Wonderful Town" und "Candide": Meisterwerke, die künstlerisch das Gesamtwerk eines Andrew Lloyd Webber problemlos in den Schatten stellen. Man wird sich wundern!

rbb | 2022 | 21 Folgen
von und mit Kai Luehrs-Kaiser
Eine Produktion von rbb Kultur, Rundfunk Berlin-Brandenburg

Violinistin Hilary Hahn, mittellange, braune Haare spielt zusammen mit einem Orchester.

Klassische Musik

Vom Kammerkonzert bis zum Orchesterabend: Klassische Musik begeistert durch ihre Vielfalt und Virtuosität.

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